Nicht schlecht für eine Nobelpreisträgerin

Tanz der seligen Geister” von Alice Munro

Ich muss zugeben, dass mich die erste Geschichte aus Alice Munros Erzählband „Tanz der seligen Geister“ zunächst ziemlich ratlos zurück gelassen hat. „Warum um alles in der Welt hat diese Frau den Nobelpreis für Literatur bekommen?“ war mein erster Gedanke nach der Lektüre.

Diese Erzählung kam schon etwas tröge daher:

Ein von seiner anstrengenden Ehefrau genervter Vertreter für Haushaltswaren und ähnliches packt seine Kinder ins Auto, um eine Verkaufsrunde über die Dörfer und Höfe zu machen. Stattdessen besucht er eine alleinstehende Frau, wahrscheinlich seine Jugendliebe, so genau erfährt man das nicht. Er trinkt und tanzt mit ihr eine Runde, um dann mit den Kindern nach Hause zurück zu kehren. Mmmh!?

Im Grunde hatte ich nach dieser ersten Geschichte, mit Alice Munro schon abgeschlossen. Dass ich weitergelesen habe, war eher Zufall. Ich hatte eine längere Busfahrt vor mir und vergessen mir ein neues Buch für unterwegs in die Tasche zu stecken. Also gab ich Frau Munro noch eine zweite Chance. Zum Glück, wie ich heute zugeben muss, denn erst durch die Lektüre mehrerer Geschichten erschließt sich deren Hintersinn, eröffnen sich die menschlichen Abgründe, die in jeder einzelnen Erzählung stecken und ergibt sich ein Gesamteindruck.

Auch die zweite Erzählung beginnt zunächst eher belanglos. Zwei Frauen unterhalten sich, während die jüngere bei der Älteren Eier einkauft. Die Ältere erzählt dabei warum sie, alleinstehend wie sie ist, auf ihrem mittlerweile etwas heruntergekommenen Hof wohnen bleiben möchte, auch wenn es dort nicht sehr komfortabel ist.

Alles wäre schön und gut, wenn nicht just um diesen Hof herum gerade eine Neubau-Siedlung entstanden wäre. Den frischgebackenen Eigenheim-Besitzern ist das alte Anwesen ein Dorn im Auge. Sie fürchten um den Wiederverkaufs-Wert ihrer neuen Häuser. Die klare, argumentativ gut untermauerte, aber eiskalte Strategie, mit der sie die alte Dame vertreiben möchten ist beängstigend, weil realistisch. Der Versuch der jungen Frau, also derjenigen, die die Eier gekauft hat, Mitgefühl zu wecken, versandet und sorgt nur für allgemeines verständnisloses Kopfschütteln.

Wenn Munro in einer weiteren Geschichte beschreibt, wie schnell sich die wohlmeinende Aufmerksamkeit eines Menschen als paranoide Zudringlichkeit entpuppen kann, dann wird das alles langsam richtig gruselig.

Letztendlich ist genau das, was Munros Geschichten auf den ersten Blick ein wenig langweilig erscheinen lässt, der Grund für ihre Genialität: ihre ruhige Erzählweise, mit der sie gewöhnliche Alltagssituationen beschreibt und dabei auf jegliche vordergründige Tragik und großer Emotionen verzichtet. Das macht den Blick frei auf die dunklen Seiten des menschlichen Daseins und auf die Kälte, die allzu häufig zwischenmenschliche Beziehungen bestimmt.

Munro gelingt es mit ihren Erzählungen, aus vielen kleinen Splittern ein großartiges, vielschichtiges Mosaik zu legen, das in seiner Gesamtheit betrachtet weit mehr über unser Leben aussagt, als so mancher Jahrhundert-Roman.

Dass die Bücher Munros auch sprachlich ein einziger Genuss sind, muss wohl nicht mehr explizit erwähnt werden, denn immerhin hat die Dame für ihre Bücher den Literatur-Nobelpreis bekommen.

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